Strathisla 24 Jahre 1992/2016 - Malts of Scotland
Riechen
Wachsig beginnt die Komposition, fast wie das Innere einer alten Bibliothek, wo Leder und Bienenwachs die Regale versiegeln. Dann öffnet sich ein blumiges Bouquet, das überraschend feminin wirkt für einen selbsternannten "strammen Rüden" – als trüge er unter dem Holzfällerhemd ein Herz aus Wildblumen.
Das Parfümierte ist nicht aufdringlich, nicht wie eine übereifrige Parfümerieabteilung, sondern subtil und kultiviert, wie der dezente Duft eines gepflegten Herrn der alten Schule. Waldhonig legt sich wie ein goldener Schleier darüber – nicht der industriell geklärte Supermarkthonig, sondern jener dunkle, harzige Waldhonig mit Persönlichkeit und Geschichte. Vanille gesellt sich hinzu, aber nicht als Solist, sondern als Ensemblemitglied, das weiß, wann es zurücktreten muss.
Und dann, das Holz. Viel Holz. Aber nicht jenes junge, aggressive Eichenholz, das schreit "Ich bin hier!", sondern das würdevolle Holz alter Möbel, poliert durch Jahrzehnte. Aprikose und Birne tanzen am Rand, getrocknete Früchte, die ihre Süße gegen samtige Tiefe getauscht haben. Und – ach ja – grüner Tabak. Nicht die rauchige Zigarette, sondern die frischen Blätter in der Trockenscheune, erdig und aromatisch.

Schmecken
"Krisselig" notierten wir – dieses elektrisierende Prickeln auf der Zunge, das Leben bedeutet. Würzig, ja, aber nicht eindimensional würzig. Es ist, als hätte jemand den Gewürzschrank eines Sternekochs umgeworfen und dann entschieden, dass das Chaos perfekt sei.
Vollmundig und ölig umhüllt dieser Whisky die Mundschleimhaut wie ein gut sitzender Wintermantel – Schutz und Luxus zugleich. "Hat Power" ist eine Untertreibung. Er hat nicht nur Power, er IST Power. Doch diese Power ist nie ungehobelt. Die Eiche, oh diese tolle Eiche, präsentiert sich in ihrer reifsten Form – nicht bitter, nicht tanninlastig, sondern weise und ausbalanciert.
Die Vielschichtigkeit ist das, was diesen Gaumen von gut zu außergewöhnlich hebt. Während Sie noch versuchen, die Würze zu entschlüsseln, hat sich bereits die nächste Aromenwelle aufgebaut. Frucht mischt sich mit Holz, Süße mit Herbe, Cremigkeit mit Präzision. Es ist wie das Lesen eines guten Romans – jede Seite enthüllt neue Nuancen, ohne den roten Faden zu verlieren.
Abgang
Er bleibt, nimmt sich ein Buch aus Ihrem Regal, setzt sich in Ihren besten Sessel und macht es sich gemütlich. Die weiche Eiche – und hier zeigt sich das wahre Alter – dominiert, aber mit der Sanftmut eines alten Weisen, der seine Lektionen ohne erhobene Stimme vermittelt.
Etwas Jod schleicht sich herein, unerwartet für einen Speysider, aber willkommen – eine maritime Flüsterbotschaft inmitten der landlocked-Eleganz. Gartenkräuter, vielleicht Thymian, vielleicht Salbei, runden das Finale ab, als hätte jemand im Abgang noch ein Kräuterbeet durchstreift. Das Finish ist nicht spektakulär im Sinne von Feuerwerk und Fanfaren, sondern spektakulär in seiner Beständigkeit und Tiefe.
Gedanken
"Das ist ein strammer Rüde" – manchmal trifft eine spontane Notiz den Nagel perfekter auf den Kopf als jede ausgefeilte Formulierung. Dieser Strathisla ist maskulin ohne toxisch zu sein, kraftvoll ohne zu dominieren, komplex ohne zu verwirren. Der Vergleich mit einem "guten Abend Kräutertee" mag zunächst kurios klingen, doch er erfasst diese wunderbare Dualität: beruhigend und stimulierend zugleich, wohltuend und anregend.
"Der ist einfach geil" – in seiner unakademischen Direktheit die vielleicht ehrlichste Bewertung. Und: "Viel mehr Luft nach oben ist nicht mehr." Tatsächlich bewegt sich dieser 24-Jährige in Sphären, in denen die Luft dünn wird. Im Vergleich zu offiziellen Strathisla-Abfüllungen (die ohnehin rar sind) zeigt diese Malts of Scotland-Selektion, was die Brennerei ohne Kompromisse leisten kann.
Dieser Whisky ist nichts für Einsteiger, und das ist auch gut so. Er richtet sich an jene, die bereits die Basics hinter sich haben und bereit sind für die Meisterklasse.
Bewertung: 95/100 - Weltklasse (Marcel: 96 | Sascha: 93)
FAQ: Die häufigsten Fragen
❓ Warum ist dieser Strathisla mit 56,2% Vol. nicht aggressiv scharf?
👉 Das ist die Magie langer Reifung. Nach 24 Jahren im Fass hat der Whisky eine ölige, vollmundige Textur entwickelt, die den hohen Alkoholgehalt wunderbar integriert.
❓ Was bedeutet "strammer Rüde" eigentlich in Whisky-Sprache?
👉 "Strammer Rüde" ist unsere charmant-unakademische Art zu sagen: Dieser Whisky hat Charakter, Rückgrat und Selbstbewusstsein. Er ist nicht zahm, nicht übermäßig smooth, nicht gefällig bis zur Belanglosigkeit. Er hat Ecken und Kanten, aber die richtigen. Er hat Ecken und Kanten, aber die richtigen. Wie ein gut gekleideter Gentleman mit interessanter Vergangenheit – kultiviert, aber nicht zahm. Im Vergleich zu vielen modernen, auf maximale Zugänglichkeit getrimmten Whiskys steht dieser Strathisla zu seiner Persönlichkeit. Er erwartet, dass Sie sich Zeit nehmen, ihn zu verstehen – und belohnt diese Investition großzügig.